hellgrüner Hintergrund mit verschiedenen geometrischen Figuren

Schule und Spiel

Playing History Geschäftsführer Martin Thiele Schwez hält das Buch Schule & Spiel in der Hand

Schule und Spiel

„Schule & Spiel“: Ein Magazin für die Integration von Brettspielen in den Unterricht

Unter dem Titel „Schule & Spiel“ veröffentlicht Uwe Rosenberg, einer der renommiertesten deutschen Spieleautoren, ein inspirierendes Magazin, das den Einsatz von Brettspielen im Schulunterricht in den Fokus rückt. Das Magazin bietet eine Fülle von Erfahrungsberichten, Spieletipps und praxisnahen Anregungen – verfasst von Lehrkräften für Lehrkräfte sowie für alle, die sich für die didaktischen Möglichkeiten von Spielen interessieren. Interessierte können es über die Website der Initiative bestellen: www.schule-und-spiel.de/das-magazin.

In der ersten Ausgabe erwartet euch ein spannender Beitrag von Martin Thiele-Schwez, in dem er die Entwicklung von Playing History beleuchtet – von der Vision forschender Spieleenthusiasten hin zu einem professionellen Produktionsstudio. Als Vorgeschmack auf das ganze Magazin könnt ihr den Artikel hier in einer Vorabfassung lesen:

 

Die Reise von Playing History | Wie die Entdeckung eines historischen Brettspiels unsere Leidenschaft für didaktische Spiele entfachte.

Es war das Jahr 2012, als wir in den Stasi-Akten, die Aufzeichnungen zu einem Brettspiel entdeckt haben. Der DDR Geheimdienst dokumentierte darin ein “sogenanntes Brettspiel mit negativ feindlichem Charakter”, was die “gesellschaftlichen Verhältnisse verächtlich” mache. Die Rede war von “Bürokratopoly” einem Spiel, das der Oppositionelle Martin Böttger in den 1980er Jahren entwickelt hatte. Er wollte damit Spaß in seinen studentisch-oppositionellen Kreisen haben, aber auch seinen Staat, die DDR, aufs Korn nehmen. 

Dieses Fundstück beeindruckte mich und meinen Freund Michael “Geis” Geithner. Nicht nur weil es ein Stück Zeitgeschichte war, sondern auch weil wir feststellen, welche gesellschaftspolitischenAuswirkungen ein Spiel entfalten kann. Sowohl da die Stasi es auf ganzen 16 Seiten dokumentierte und kopierte, als auch da sich das Spiel in der DDR verbreitete und – wie wir später erfuhren – einige neue Varianten davon entstanden sind. 

Für uns war klar, dass dieses Fundstück nicht in den verstaubten Akten untergehen darf, sondern ans Licht der Öffentlichkeit muss. In der Beschäftigung mit diesem Spiel und anderen handgefertigten Brettspielen aus der DDR, haben wir soviel über die deutsch-deutsche Teilungsgeschichte gelernt, wie noch nie zuvor in unserem Leben. Es lag auf der Hand: Böttgers Bürokratopoly muss als Bildungsmaterial in den Schulunterricht: Wir stellten Kontakt zum Autor (der bis heute noch in Sachsen politisch aktiv ist) her, führten Interviews mit ihm und legten das Spiel mit der Unterstützung des DDR Museum Berlin neu auf. Als das Spiel zum 25. Jahrestag des Mauerfalls neu erschien, wurde es nicht nur in schier allen Medien – auch im Ausland – besprochen, sondern war auch in wenigen Tagen vergriffen.

Spätestens da verstanden wir, dass das heimelige Medium Spiel nicht nur ein gefragtes und sehr wirksames didaktisches Mittel sein kann, sondern auch, dass wir es vermögen, Geschichte(n) mit Spielen zu erzählen und gesellschaftlich Einfluss zu nehmen. Auf die Neuauflage von Bürokratopoly folgte unsere erste Eigenentwicklung Wendepunkte – Ein Kartenspiel über biografische Brüche in der Zeit der deutschen Wiedervereinigung. Auch dieses Spiel setzte sich im Bildungsbereich durch und wird seitdem in immer wieder neuen Auflagen gedruckt.   

2020 war es dann soweit, dass Geis und ich den Mut fassten und entschlossen, das Entwickeln didaktischer Spielformen, was wir bis dahin eher als Hobby betrachteten, hauptberuflich anzugehen. Wir gründeten mit Playing History ein Studio, wollten durchstarten und dann – Corona. Die Pandemie, die die Gesellschaft unvorhersehbar traf und viele Unternehmen schädigte, stellte für uns – zumindest mit Blick auf das unternehmerische Vorhaben – kein maßgebliches Problem dar: Wir konnten per Videocalls arbeiten und somit Parnterorganisationen auch außerhalb unseres Wohnortes finden und etliche Museen und Bildungseinrichtungen widmeten ihre Budgets für die Entwicklung digitaler Projekte um. Ihr vornehmliches Ziel: Resonanz und Verbindung herzustellen, zwischen ihren Inhalten und den Besucher*innen (die sie nun nicht mehr besuchen konnten). Und welches Medium stellt mehr Resonanz her als wohl jedes andere: Das Spiel! Wir wurden angefragt, digitale Spiele zu entwickeln, die im Umfeld von Geschichte und Gesellschaftspolitik verortet sind und das Bildungsprogramm fortschreiben, was innerhalb der Pandemie nicht mehr hinreichend erfüllt werden konnte. So entstanden beispielsweise mit Hidden Codes ein Mobilegame zu Radikalisierung im Netz oder mit Im Kopf von Karl Schmidt-Rottluff ein Mobile Game zum expressionistischen Maler.

Vielleicht, weil wir mit breiter Brust durch die Welt gingen und überall erzählten, dass schier jedes Thema in einem Spiel verarbeitet werden könne, erhielten wir dann die Anfrage der Gedenkstätte Wehnen. Dabei handelt es sich um eine kleine NS-Gedenkstätte nahe Oldenburg, die aktiv über das Thema “Euthanasie” aufklärt und der, im Zuge der Schließung aufgrund der Pandemie, die Besucher*innen fern blieben. Als erste NS-Gedenkstätte wagten sie im Schulterschluss mit uns, das Thema NS-Hungermorde spielerisch abzubilden. Aus dieser Idee, in Rücksprache mit Angehörigen und Historiker*innen entwickelten wir Spuren auf Papier und traten den Beweis an, dass selbst die finstersten Kapitel der Geschichte pietätvoll und angemessen durch spielerische Formate vermittelt werden können. 

Wo wir noch vor zehn Jahren an jeder Ecke Überzeugungsarbeit leisten mussten, dass Spiel überhaupt ein valides didaktisches Medium sein kann, ist es inzwischen so, dass Ausstellungshäuser und Bildungseinrichtungen auf uns zu treten und anfragen, ob wir die Qualität des Mediums nicht auch für ihre Inhalte produktiv machen können. Für uns spielt es dabei erst einmal eine untergeordnete Rolle, ob es um analoge oder digitale Spiele geht oder gar – was inzwischen zunehmend relevant wird – um Spiele im Raum. 

Mit unserem jüngsten Titel Friedrich Ebert – Der Weg zur Demokratie zeigten wir, dass auch Synergien zwischen diesen medialen Feldern naheliegend sind: So entstand das Spiel über den ersten Reichspräsidenten, dass wir mit Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte entwickelt haben zunächst als digitales Browsergame, wurde anschließend als physische Installation in die Ausstellung eben jener Gedenkstätte gebaut und ist nun verfügbar als analoges Kartenspiel, erschienen beim OSTIA-Spiele Verlag. Daran hängt besonderes Herzblut, schließlich bin ich davon überzeugt, dass ein Verständnis für das Entstehen und Scheitern der ersten deutschen Demokratie, gerade in krisengeschüttelten Zeiten wie den heutigen, von immenser Bedeutung ist. 

Immer wieder denke ich daran, wie uns der Oppositionelle Martin Böttger von Bürokratopoly erzählte und wie er, nach eigener Aussage, mit der Stasi “Katz und Maus” spielte. Er wusste, dass Spielen mehr sein kann als bloßer Zeitvertreib: Es leistet einen Beitrag dazu, wie das Geschichtsbild nachwachsender Generationen gebildet wird, es leistet einen Beitrag zur Wertebildung seiner Spieler*innen und es ist ein Statement, wie wir – die Game Designer*innen – die Welt sehen und gestalten möchten. 

Kinder erschließen sich jegliche Kompetenz, jegliches Wissen und ihre Werte durch spielerische Handlungen. Es gibt keinen Grund, warum Jugendliche und Erwachsene damit aufhören sollten. Eben jene Spiele zu machen, die den Ansprüchen adäquater Geschichtsbilder und wertegeleiteter Narrative gerecht werden, ist unser täglicher Antrieb. Die Dankbarkeit gilt dabei nicht allein, den Partner*innen aus Geschichtswissenschaft und dem politischen Umfeld, sondern auch und insbesondere den ambitionierten Lehrkräften, die moderne, spielerische Formate als Bildungsmedien im Unterricht einsetzen und somit am Bildungsmaterial von Morgen mitarbeiten.

 

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