Interview zu “Das Spiel mit der Katastrophe” für netzpolitik
Wie können Spiele uns für den Klimawandel sensibilisieren? Dieser spannenden Frage widmet sich ein aktueller Artikel von netzpolitik.org, der sich intensiv mit dem Thema “Klimagames” beschäftigt. Für den Artikel interviewte Dom Schott auch unseren Geschäftsführer Martin Thiele-Schwez ausführlich.
Zum Artikel auf netzpolitik.org geht es hier:
Klimagames: Das Spiel mit der Katastrophe
Und weil wir finden, dass das Gespräch viele wichtige Aspekte anspricht, die auch unsere Arbeit bei Playing History prägen, veröffentlichen wir hier das gesamte Interview mit Martin Thiele-Schwez nochmal in voller Länge hier:
1) Wie denkst du ganz grundsätzlich über das Potential, dass uns Spiele für die Folgen der Klimakatastrophe sensibilisieren können?
Ich halte Spiele für das beste Medium zur Vermittlung komplexer Themen – auch wenn es darum geht, für die Folgen der Klimakatastrophe zu sensibilisieren. Zum einen ermöglichen sie es uns, interaktiv Szenarien durchzuspielen und auf diese Weise konkrete Modelle zu erfahren: Welche Entscheidungen führen zu welchen Konsequenzen? Zum anderen schaffen sie einen immersiven Raum, in dem wir durch Probehandeln lernen können. Spiele bieten die einzigartige Möglichkeit, verschiedene Zukunftsszenarien durchzuspielen und deren Konsequenzen zu erleben – ohne dass Angst vor realen Auswirkungen unser Denken blockiert.
Darüber hinaus aktivieren Spiele ihre Spieler*innen stärker als andere Medien, da jede Handlung eine direkte Reaktion des spielerischen Systems auslöst. Ohne die Spieler*innen findet schließlich kein Spiel statt. Diese Interaktivität sorgt für eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Thema, da ich als Spieler*in Teil der Aushandlung bin..
Allerdings reicht es nicht aus, Klimakrisenszenarien nur auf dem Bildschirm zu erleben. Für einen echten gesellschaftlichen Impact braucht es eine Transferleistung. Spiele – und gegebenenfalls begleitende Pädagog*innen – müssen deutlich machen, dass die spielerischen Szenarien reale Entsprechungen haben. Wenn die Klimakrise nur als isoliertes Spielgeschehen wahrgenommen wird, ist fraglich, ob dies zu echtem Engagement und aktivem Handeln führt.
2) Welche Bedingungen muss ein solches Spiel in deinem Auge erfüllen, dass tatsächlich ein “Lerneffekt” eintreten kann? Kann bereits ein Civilization 6, das Klimakatastrophen als eines von vielen kleinen Features anbietet, uns sensibilisieren – oder bedarf es eines gezielten Ansprechens dieses Thema und einer besonderen Rahmung, um diese Sensibilisierung zu erreichen?
Die Herausforderung, die Klimakrise spielerisch abzubilden, liegt in ihrer grundlegenden Natur: Ursache und Wirkung treten nicht unmittelbar aufeinander ein, sondern sind langfristig, vielschichtig und oft nicht monokausal. Spiele hingegen funktionieren meist so, dass Handlungen schnelle und eindeutige Konsequenzen (Feedbacks) haben – das macht die Klimakrise zu einem schwer greifbaren Thema im spielerischen Kontext.
Wenn ein Spiel die Klimakrise nur als eine von vielen Herausforderungen darstellt, die sich mit ebenso einfachen und direkten Mitteln bewältigen lässt wie andere Spielherausforderungen, dann wird die tatsächliche Tragweite des Problems nicht ausreichend eingefangen oder banalisiert möglicherweise sogar das Problem. Entscheidend ist, dass ein Spiel die strukturellen, langfristigen und oft nur kollektiv lösbaren Herausforderungen der Klimakrise angemessen widerspiegelt.
Ein weiteres Problem ist das Thema Agency: In vielen Spielen übernehmen wir die Rolle mächtiger Held*innen, die durch ihr individuelles Handeln großen Einfluss nehmen können. Doch die Klimakrise erfordert ausdauerndes kollektives Handeln, das über die Entscheidungsmacht einzelner Akteur*innen – sei es eine Person oder ein Staat – hinausgeht. Diese Diskrepanz zwischen spielerischer Gestaltung und realer Problemlage stellt eine besondere Herausforderung dar.
Gleichzeitig kann genau diese Problematik eine pädagogische Chance sein: Spiele müssen nicht nur Inhalte vermitteln, sondern können auch dazu anregen, ihre eigene Darstellung kritisch zu hinterfragen. Ein pädagogisch wertvoller Ansatz könnte sein, gemeinsam mit Spieler*innen zu analysieren, welche Realität das Spiel tatsächlich abbildet – und was es explizit oder implizit vermittelt. Genau hier könnte Civilization einen Lerneffekt haben: Auch wenn es die Klimakrise sicher nicht perfekt darstellt, liegt bereits ein Erkenntnisgewinn darin, zu reflektieren, was das Spiel treffend oder unzureichend umsetzt. Wer in der Lage ist, dies kritisch zu hinterfragen, setzt sich zwangsläufig auch intensiver mit der realen Klimakrise und seiner Besonderheit auseinander. Gerade bei Entertainmenttiteln gilt es auch die Erwartungenrichtig einzuordnen: So ist es in vielen Fällen sicherlich schon gut genug, wenn Spieler*innen zunächst mit einer Problemstellung überhaupt einmal konfrontiert werden, ohne dass das Medium sie letztlich als Aktivist*innen entlässt.
3) Hat es schon mal ein Spiel geschafft, bei dir Gedanken rund um die Klimakatastrophe und die Folgen anzuregen? Wenn ja: Welches Spiel war das und was ging da in dir vor? Wenn nein: Woran glaubst du liegt das?
Bei dieser Frage denke ich intuitiv eher daran, dass das Fehlen von Klimathemen in Spielen für mich besonders auffällig ist. Ein Beispiel ist Cities: Skylines – ein Städtebauspiel, das nach meiner Meinung veralteten Mustern folgt. Die Stadt wird primär durch Straßen strukturiert, und das zentrale Spielprinzip dreht sich um das Gleichgewicht zwischen Wohnen, Konsum (Gewerbe) und Produktion (Industrie). Dieses bewährte Gameplay funktioniert zwar gut, blendet aber soziale und ökologische Herausforderungen weitgehend aus – auch wenn ich mir habe sagen lassen, dass es wohl DLCs gibt, die sich diesen Themen widmen.
Ähnliches gilt für die Tropico-Reihe: Ich kann bedenkenlos den Urwald meiner Insel für riesige Tourismusprojekte roden, ohne dass das Spiel mir signalisiert, dass dies problematisch ist – weder im Kleinen noch im Großen. Selbst bei Minecraft hatte ich diesen Gedanken: Ich fälle tausende Bäume, baue „seltene Erden“ ab und schöpfe Ressourcen aus, ohne dass Nachhaltigkeit eine Rolle spielt. Kurzum: Mir fallen eher zahlreiche Spiele ein, die das Thema Klimakrise bewusst oder unbewusst ausklammern.
Ein Spiel, das sich hingegen explizit mit der Transformation der Wirtschaft im Sinne des Klimaschutzes auseinandersetzt, ist der Green New Deal Simulator von Molleindustria – einem Game-Design-Kollektiv, das ich sehr bewundere. Dieses kleine Serious Game zeigt mit einfachen Mechaniken, wie komplex es ist, eine auf Wachstum und Profit ausgelegte Wirtschaft innerhalb einer bestimmten Zeit nachhaltig umzustrukturieren. Selbst wenn das theoretisch gelingen könnte, kommen erschwerend Naturkatastrophen, soziale Bedürfnisse der Bevölkerung und chronischer Geldmangel hinzu – was die Herausforderung beinahe unmöglich macht.
Im Brettspielbereich wird das Thema Klimawandel allmählich sichtbarer. Immer mehr Titel setzen sich damit auseinander, zuletzt etwa E-Mission, das 2024 als Kennerspiel des Jahres ausgezeichnet wurde. Dieses Spiel macht die kollektive Verantwortung für den Klimawandel greifbar und zeigt, wie wichtig gemeinsames Handeln ist.

Foto: LWL – “Rohstoffe, Ressourcen, Reichtum” | Frauke Kreutzman
4) Im Portfolio von Playing History gibt es derzeit kein Spiel, das sich um die Klimakatastrophe dreht. Warum ist das so? Gibt es dafür bisher nicht die Nachfrage oder/und den passenden Auftraggeber oder liegt das an anderen Dingen?
Das stimmt so nicht ganz. Im vergangenen Jahr haben wir gemeinsam mit der Zeche Nachtigall – einer ehemaligen Steinkohlenzeche, die heute ein Museum ist – das Spiel Rohstoffe, Ressourcen, Reichtum entwickelt. Dieses Gruppenspiel, das vor Ort im Museum gespielt wird, vermittelt, wie globaler Ressourcenabbau und -handel funktionieren und welche sozialen sowie ökologischen Auswirkungen sie haben. Zudem macht es postkoloniale Strukturen im Rohstoffhandel sichtbar und zeigt, dass diese keineswegs naturgegeben, sondern menschengemacht sind.
Kürzlich haben wir außerdem gemeinsam mit der Verbraucherzentrale das Spiel W.I.R.S.I.N.G. vs. Weltuntergang entwickelt. Hier geht es um nachhaltige Ernährung und ihren Einfluss auf das Weltklima.
Dennoch sind solche Titel in unserem Portfolio eher die Ausnahme. Das liegt zum einen daran, dass wir als Team stark mit Geschichtsvermittlung und Gesellschaftspolitik assoziiert werden – was ja auch im Namen Playing History mitschwingt. Zum anderen habe ich den Eindruck, dass das Bewusstsein für Spiele als didaktisches Medium im Bereich Klimaschutz noch nicht so ausgeprägt ist. Im Bereich Geschichte und Erinnerungskultur musste sich das Medium Spiel diesen Stellenwert erst mühsam erarbeiten. Es bleibt zu hoffen, dass diese Erkenntnis auch im Kontext von Klimaschutz wächst – denn wenn es um dieses Thema geht, wäre gestern der bessere Zeitpunkt zum Handeln gewesen als heute oder morgen.

© Verbraucherzentrale Berlin
W.I.R.S.I.N.G. vs Weltuntergang
5) Wenn ich dir den Auftrag überreichen würde, ein Spiel zu entwickeln, das SpielerInnen für die Klimakatastrophe sensibilisiert – worauf würdest du in Hinblick auf Konzeption, Präsentation und Game Design insbesondere achten, um diesen Auftrag erfüllen zu können? Wo siehst du die größten Herausforderungen und möglichen Fallstricke?
Zunächst würde ich – wie bei jedem unserer Projekte – Expert*innen hinzuziehen, die uns helfen, die vielschichtigen Dynamiken der Klimakrise in ein spielerisches System zu übersetzen. Immerhin gibt es da draußen ja zahlreiche Menschen und Organisationen, die sich seit Dekaden bemühen, mit ihrer Botschaft Gehör zu finden. Ein fundiertes Verständnis der Thematik ist essentiell, um ein Spiel zu entwickeln, das nicht nur vereinfacht oder symptomatisch an der Oberfläche kratzt, sondern die strukturellen Herausforderungen angemessen reflektiert.
Im Game Design wäre es mir wichtig, eine Mechanik zu entwickeln, die verdeutlicht, dass es keine einfachen Lösungen gibt – und dass echte Veränderung nicht ohne Verzicht, Reduktion oder grundlegende Anpassungen möglich ist. Ich denke dabei an Spiele, die ihre Spieler*innen konsequent mit Dilemmata konfrontieren, auf die es keine eindeutigen „richtigen“ Antworten gibt (hier kommt mir beispielsweise Frostpunk in den Sinn). Die zentrale Erkenntnis eines solchen Spiels müsste sein, dass nicht das bloße Justieren kleiner Stellschrauben ausreicht, sondern dass tiefgreifende Veränderungen nötig sind, um ein System zu transformieren, dessen inhärente Logik auf Wachstum und Ausbeutung – von Mensch und Natur – basiert.
Gleichzeitig sehe ich unsere Spiele auch als Teil eines gesellschaftlichen Diskurses. Deshalb wäre es mir besonders wichtig, dass unser Spiel nicht nur zeigt, was nicht funktioniert, sondern auch Mut, Hoffnung und Optimismus vermittelt. Denn die Herausforderungen, mit denen wir als Weltgemeinschaft konfrontiert sind, sind menschengemacht – und das bedeutet auch, dass wir sie aktiv verändern können. Das Spiel sollte seinen Spieler*innen nicht nur kleine Impulse für ein nachhaltiges Leben geben, sondern vor allem eine größere Perspektive aufzeigen: dass Wandel möglich ist, wenn wir bereit sind, Systeme kritisch zu hinterfragen und neu zu denken.
Eine zentrale Herausforderung – wie so oft – ist zudem die Finanzierung. Solche Projekte sind ambitioniert und erfordern erhebliche Ressourcen, nicht nur für die eigentliche Produktion, sondern auch für Recherche, wissenschaftliche Fundierung, Testing und iteratives Design etc. Gerade wenn ein Spiel auf fundierten Daten basieren soll, sind viele Expert*innen über einen längeren Zeitraum involviert. Je mehr Budget für ein solches Vorhaben zur Verfügung steht, desto ausgereifter kann das Spiel werden – und desto größer ist letztlich sein potenzieller Impact. Die Realität der Serious Games Budgets sieht allerdings allzu oft eher prekär aus.