hellgrüner Hintergrund mit verschiedenen geometrischen Figuren

Gaming im Altenzentrum – Mut zur digitalen Teilhabe

Titelbild zum PlayingHistory Blogbeitrag "Gaming im Altenzentrum - Mut zur digitalen Teilhabe". Alter Mann auf Couch mit Controller in der Hand.

Gaming im Altenzentrum – Mut zur digitalen Teilhabe

Gastbeitrag von Katrin Schäfer, M.A Rehabilitationswissenschaften, Masterarbeit: Mediennutzungsverhalten in der stationären Altenpflege.


Ich lade heute zu einem kleinen Gedankenexperiment ein: Sie sind 75 Jahre alt, pflegebedürftig und müssen nun in eine Altenpflegeeinrichtung umziehen. Was sollte unbedingt mitkommen? Für mich steht klar fest, sollte ich in ein Altenzentrum ziehen, dann müssen meine verschiedenen Streaming Dienste, mein Fernseher und meine Konsole unbedingt mit. Man bezeichnet meine Generation auch als die der Digital Natives. Eine Generation, die mit digitalen Unterhaltungsmedien aufgewachsen ist und die deren Alltag maßgeblich prägen. Die Möglichkeit zur digitalen Teilhabe wäre für mich als Bewohnerin eines Altenzentrums grundlegend und eine wichtige Voraussetzung zur Sicherung meiner Lebensqualität im Alter.

Nun aber zurück ins Hier und Jetzt… Die Vorstellung, dass Gaming heutzutage als Freizeitbeschäftigung in Altenzentren gelebt wird, verursacht vielleicht ein Stirnrunzeln. Wahrscheinlich denkt man bei Freizeitangeboten in Pflegeeinrichtungen eher an Bingo-Nachmittage und Schlagerdisco. Natürlich bilden auch diese Angebote einen wichtigen Bestandteil der sozialen Betreuung von Senior*innen. Aber auch digitale Angebote gilt es künftig fest zu etablieren. 

Digitale Bedürfnisse steigen zunehmend

Medien sind ein elementarer Bestandteil unseres Lebens und durch zunehmende Digitalisierung entwickelt sich unser Medienkonsum stetig weiter. Dadurch verändert sich ebenfalls das Mediennutzungsverhalten von Senior*innen. Der demografische Wandel führt dazu, dass auch in der Zielgruppe der Senior*innen digitale Medien zunehmend an Bedeutung gewinnen

Aber, warum spielen wir eigentlich Games auf dem PC und der Konsole? Hier gibt es ganz unterschiedliche Motive. Neben dem „Kick“ der kognitiven Herausforderung liegen auch affektive Motive wie Spaß, Entspannung und Ablenkung nahe. Es ist vielleicht schwer zu glauben, aber genau diese Beweggründe können Senior*innen ebenfalls motivieren digitale Medien zu nutzen. Gerade der Aspekt der Ablenkung und des Spaßfaktors bekommt innerhalb des Pflegeheimalltages nochmal eine neue Bedeutung.

Ältere Menschen, die in ein Pflegeheim ziehen, tun dies in der Regel aufgrund ihrer Pflegebedürftigkeit, mit der einhergeht, dass sie auf Unterstützung im Alltag angewiesen sind. Der Alltag in Pflegeeinrichtungen ist jedoch in der Regel durch feste Strukturen wie ritualisierte Pflege- und Essenszeiten beeinflusst. Zwischen diesen vorgegebenen Strukturen liegt „freie Zeit“ der Senior*innen, die zum Ausruhen oder Beschäftigen ganz individuell genutzt werden kann. Neben den offiziellen Freizeitangeboten der jeweiligen Einrichtung, beschäftigen sich die älteren Menschen auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Hier lohnt es sich meiner Meinung nach ganz gezielt auch Gaming Angebote an die Zielgruppe heranzutragen. 

Gaming Bandbreite in der Betreuung von Senior*innen

Gaming funktioniert für Senior*innen bereits durch niederschwellige Angebote auf Tablets und Smartphones. Im Rahmen der Digitalisierung der Lebenswelt von älteren Menschen ist es daher so, dass vermehrt Smartphones oder Tablets in Altenpflegeeinrichtungen einziehen.

Auf diesen Endgeräten wird fleißig über Apps gespielt, sei es Mahjong, Kreuzworträtsel, Solitaire oder auch mit diversen Quizapps. Manche Anwender*innen in den Altenzentren kann man schon wirklich als waschechte Silvergamer*innen bezeichnen. Diese Spiele sind dabei in den Alltag der einzelnen Bewohner*innen integriert, sodass es zu einem schönen Ritual werden kann, nach dem Abendessen eine halbe Stunde ein Quiz auf dem Tablet zu zocken. Wichtig ist hierbei jedoch die seniorengerechte Handhabung der Apps. Diese sollten möglichst niederschwellig, einfach erklärt und motorisch nicht zu herausfordernd sein. 

Der Einsatz von Tablets im Rahmen digitaler Betreuungsangebote gewinnt zunehmend an Bedeutung. Auch für Menschen mit demenziellen Erkrankungen werden stetig spezielle Tablets und Anwendungen entwickeln und sind in einigen Pflegeinrichtungen als feste Bestandteile etabliert. Durch die Möglichkeit die Tablets mit einer Leinwand oder einem Fernseher zu verbinden, sind der Kreativität kaum Grenzen gesetzt. So kann beispielsweise am Nachmittag gemeinsam in einer Kleingruppe Wer wird Millionär gezockt werden. Diese Form der Gruppenaktivität führt auch digital unerfahrenere Senior*innen mittels eines pädagogischen Angebotes an digitale Medien heran. Aber auch das Heranführen an lebensweltfernere Medien wie beispielsweise Konsolen und Gaming-PCs sowie deren Potentiale ist als eine große Chance für Senior*innen zu begreifen. Nur so nähern wir uns der Idealvorstellung der digitalen Teilhabe.   

Silvergamer als neue Zielgruppe für Entwicklerstudios

Foto von adaptiove Controllern, die beim Spielen mit Senioren zum Einsatz kommen können

Adaptive Controller, Foto: Katrin Schäfer

Senior*innen und Digital Natives unterscheiden sich vor allem im Handling, mit welchem sich die User*innen den Games widmen. Entsprechend sind weder die Games noch die dazugehörigen Controller auf die Zielgruppe der pflegebedürftigen Menschen zugeschnitten. In diesem Zuge fällt nun häufiger das Stichwort Barrierefreies Gaming, welches zunehmend zu gesellschaftlichem Umdenken im Bereich Gaming führt.

So hat beispielsweise Microsoft den „Xbox Adaptive Controller“ herausgebracht, der es ermöglicht einzelne Steuerungselemente des Controllers einzeln und barrierefreundlicher an die Bedürfnisse der Nutzer*innen anzupassen. In einem klassischen Jump and Run Spiel können durch den Controller die verschiedenen Steuerungselemente auf verschiedene Anwender*innen aufgeteilt werden. So würde der*die Senior*in aktiv lediglich die Aufgabe des Springens des Avatars übernehmen. Die restliche Steuerungsverantwortung würde dann bei der*dem Mitspieler*in und somit potenziellen Angehörigen oder Betreuerpersonal liegen. Gaming wird so zur Teamaufgabe, die nur gemeinsam abgeschlossen werden kann. Auch hier ist natürlich eurer Fantasie und Kreativität im Rahmen der Umsetzung keine Grenze gesetzt.

Das Potenzial von aktivem und passivem Gaming

Alte Frau spielt mit Lenkrad ein digitales Autorennspiel. Foto Autorennen Lenkrad: Alpha STORYTELLING by Kai Kapitän

Foto (c) Alpha STORYTELLING by Kai Kapitän

Eine weitere Möglichkeit das Handling nutzer*innengerecht anzupassen, kann beispielsweise bei Simulationsspielen die Nutzung von Lenkrädern oder auch Flightsticks sein. Meist lassen sich diese Geräte an die Fähigkeiten der User*innen anpassen, indem zum Beispiel die Geschwindigkeit gedrosselt wird. Das aktive Zocken durch Bedienung verschiedener Controller bedarf Training und Begleitung unserer derzeitigen Senior*innen in Pflegeheimen. Aus meinen Erfahrungen in der Betreuung pflegebedürftigen Menschen kann ich euch sagen, dass es viele Games gibt, die die Senior*innen begeistern, biografisch interessieren oder auch einfach nur vom Alltag ablenken können. Durch die Möglichkeit ein weiteres Mal vor einem Lenkrad zu sitzen, können so ehemalige Fahrzeugliebhaber*innen in den Genuss von Motorengeräuschen kommen und ihre Erinnerungen an eine Zeit vor der Pflegebedürftigkeit wiederaufleben lassen. 

Das Spielgeschehen innerhalb eines Games zu beeinflussen bedarf Übung und eine gute Begleitung. Generell gilt es aber auch zu betonen, dass es natürlich möglich ist Gaminginhalte beispielsweise über Virtual Reality im Rahmen eines passiveren Konsums an diese Zielgruppe heranzutragen. Es ist so auch möglich mit den Bewohner*innen eine Unterwasserexkursion zu unternehmen. Oder via Google Earth den alten Schulweg gemeinsam zu erkunden. Der Hauptfokus des Mediums Gaming liegt besonders für diese Zielgruppe aber im Erleben und der damit verbundenen Kommunikation in Anknüpfung zu biografischen Inhalten. 

Mit Eskapismus zur Lebensqualität

Gaming im Altenzentrum: Foto einer alten Frau, der gerade eine Virtual Reality Brill aufgesetzt wird.

Foto (c) Alpha STORYTELLING by Kai Kapitän

Erinnern wir uns noch einmal an die zu Beginn dieses Blogs benannten Motive der Mediennutzung. Der Sinn eines Gamingerlebnisses liegt für pflegebedürftige Senior*innen nicht ausschließlich in den von den Entwickler*innen vorgegebenen Zielen des Games oder dem Abschluss eines Abenteuers. So ist es meiner Meinung nach förderlich, eigene Ziele für die jeweiligen Games in Zusammenarbeit mit den pflegebedürftigen Silvergamer*innen zu entwickeln. So geht es bei einem Autorennen nicht nur darum, das Rennen zu gewinnen, sondern sich über die Landschaft während der Fahrt zu unterhalten. Ein weiterer Spaßfaktor kann auch sein, möglichst viele Kakteen oder Bäume umzufahren und gemeinsam mit den Senior*innen zu lachen.

Gaming im Kontext der Betreuung impliziert für mich vor allem ein großes Stück Freiheit. Eskapismus, die digitale Realitätsflucht, welche gerade in Bezug auf Jugendliche und Gamingkonsum in den Medien heiß diskutiert wird, ist in diesem Kontext also vor allem eine Chance. Senior*innen können so kurzzeitig in die Digitale Welt abtauchen und ihr Alter, ihre Pflegebedürftigkeit sowie einen eventuellen Autonomieverlust vergessen und ein wenig Lebensqualität zurückerhalten können. 

Ich hoffe mein Artikel konnte etwas Mut machen. Mut, die digital Gap gemeinsam zu überwinden und intergenerationales Gaming zu verwirklichen. Denn: Gaming kennt kein Alter und keine Barriere. #gamingisforeveryone


Gastbeitrag von Katrin Schäfer, M.A Rehabilitationswissenschaften, Masterarbeit: Mediennutzungsverhalten in der stationären Altenpflege.

 

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