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Eignet sich jedes Thema für ein Spiel?

Eignet sich jedes Thema für ein Spiel? Teaserbild für Blogbeitrag mit nachdenklicher junger Frau.

Eignet sich jedes Thema für ein Spiel?

Ein Gastbeitrag von Christian Buschmann, Doktorand am Seminar für Didaktik der Geschichte an der Goethe Universität Frankfurt am Main. Er forscht zum Einsatz von Planspielen im Geschichtsunterricht.


Ein Spiel wird um seiner selbst willen betrieben. Strategische Handlungen im Spiel verfolgen zwar ein Spielziel, das durch das Design definiert ist. Erfolge oder Misserfolge im Spiel haben aber keine Auswirkungen, die über das Spiel hinausweisen. Zugegebenermaßen können die Emotionen nach einer knappen Niederlage im Spiel als ausgesprochen real empfunden werden. Dennoch bleiben die Ergebnisse der Handlung auf die Sphäre des Spiels beschränkt. Die Zweckfreiheit des Spiels wird in Bildungskontexten in pädagogischer Absicht jedoch „eingeschränkt, geformt und gezähmt“ (Scholz, S. 7). Denn hier wird zum Spielziel noch ein Lernziel an das Spiel herangetragen. Spiele im Bildungskontext verfolgen damit einen Zweck (das etwas gelernt werden soll) und führen im besten Fall zu einem realen Ergebnis (das etwas gelernt wurde).

Damit wird die Frage nach didaktisch begründeten Auswahlkriterien zum Einsatz von Spielen in Bildungskontexten relevant. Das Anliegen einer didaktischen Analyse ist es, den Bildungsgehalt eines Themas und die Auswahl eines geeigneten methodischen Arrangements mit Hilfe fachlicher Prinzipien zu begründen. Zugespitzt lässt sich daher fragen: Eignet sich jedes Thema der historisch-politischen Bildung für eine spielerische Vermittlung?

„Jedes Thema eignet sich für ein Spiel…“

„Ja!“, sagt der CEO von Playing History Dr. Martin Thiele-Schwez, den ich für ein Forschungsprojekt interviewt habe. „Wir können aus jedem Thema ein Spiel machen.“ Zur Anfangszeit seiner Arbeit habe er aber Kooperationspartner*innen zunächst davon überzeugen müssen, dass Spielen im Kontext von Vermittlungsarbeit nicht mit Spielerei gleichzusetzen sei. Spiele können vielmehr mit einer großen Ernsthaftigkeit und Hingabe betrieben werden und einen Einblick in die Regelhaftigkeit (vergangener) Gesellschaftssysteme vermitteln.

Die thematische Engführung im Portfolio von Playing History auf Themen der Geschichte der DDR und des Nationalsozialismus ist damit nicht spieldidaktisch begründet. Vielmehr ist sie das Ergebnis einer interessengeleiteten Themenauswahl und den bisher zustande gekommenen Kooperationen mit Museen und Gedenkstätten. Um zu verstehen, nach welchen inhaltlichen Kriterien ebendiese Kooperationspartner*innen ein Thema für eine spielerische Vermittlung in Erwägung ziehen könnten, lohnt sich ein Blick in aktuelle Diskussionen innerhalb der Fachdidaktiken Politik und Geschichte.

Brücken bauen zwischen Alltag und Spielwelt

Im Politikunterricht und in der außerschulischen politischen Bildung sind insbesondere Planspiele eine verbreitete Methode zur spielerischen Vermittlung politischer Systeme (z. B. Simulationen der Vereinten Nationen, siehe www.dmun.de). In diesem Zusammenhang wird diskutiert, inwiefern Planspiele als adressatenorientiert bzw. im Kontext Schulunterricht als schülerorientiert gelten können. (Zur nachfolgenden Argumentation vgl. Maria Theresa Meßner, in Ankündigung: Der Einsatz von Planspielen im sozialwissenschaftlichen Unterricht. Eine Erhebung an hessischen Sekundarschulen). Das meint, dass Spiele anschlussfähig an die Lebenswirklichkeit der Spieler*innen sind, sobald sie Kontexte simulieren, in denen sich Schüler*innen in ihrem Alltag bewegen.

Spielerische Vermittlung in Form eines politischen Planspiels; Quelle: Model United Nations Brandenburg www.munbb.de

Foto eines politischen Planspiels Quelle: Model United Nations Brandenburg www.munbb.de

Der Politikdidaktiker Andreas Petrik kritisiert daher, dass bei vielen politischen Spielen die „Denk- und Handlungsweisen [der im Spiel übernommenen Rollen] sehr fern sind vom Alltag der Schüler/-innen“ (Petrik 2018, S. 117). Spiele würden demnach nicht wie allgemein erhofft eine Brücke zwischen „Politik“ und Alltag bauen. Petrik folgend eignen sich daher vielmehr Themen aus dem sozialen Nahraum der Adressaten für eine spielerische Umsetzung, damit Spieler*innen realistische Handlungen im Spiel erproben können. Dies bietet beispielsweise eine Sitzung der Schulkonferenz, die in einem Simulationsspiel nachvollzogen werden kann.

Politikdidaktiker Wolfgang Sander argumentiert jedoch, dass die Lebenswelt der Schüler*innen durch die Erfahrung im Spiel „für neue Sinnwelten“ (Sander 2013, S. 192) geöffnet wird und gerade deswegen ein Bruch insbesondere mit dem Alltäglichen durch ein Spiel herausgefordert werden kann.

Alternative Geschichten: Ergebnisoffenheit als Auswahlkriterium

In gegenwartsorientierten Spieldesigns spiegelt das Spielelement der Ergebnisoffenheit die reale Offenheit der Entscheidungssituation wider. In vergangenheitsorientierten Szenarien bestehen aus geschichtsdidaktischer Sicht Vorbehalte. Im Spiel sind Handlungsverläufe möglich, die dem Verlauf der Geschichte, wie er bereits durch die Historiker*innen rekonstruiert wurde, widersprechen. Dies begründet (möglicherweise) auch, warum Spiele im Schulfach Geschichte bisher deutlich weniger Verbreitung gefunden haben als im Fach Politik. Ein geschichtsdidaktisches Auswahlkriterium schlägt Markus Bernhardt vor, indem er anmerkt: „Besonders gut geeignet für Planspiele im Geschichtsunterricht sind demnach Phasen von vermeintlich großer historischer Offenheit, weil sich diese Voraussetzung mit den Möglichkeiten eines Planspiels deckt“ (Bernhardt 2018, S. 124). Das Spiel bietet somit einen kreativen Möglichkeitsraum, um diese Phasen mit alternativen Geschichtserzählungen auszufüllen.

Gerade der spekulative Charakter von Spielen mit historischen Inhalten könnte auch gleichzeitig dazu anregen, vermeintlich klare Narrative (die keine historische Offenheit nahelegen) aufzubrechen. Dies würde dann dazu motivieren, sich selbständige Gedanken zu Alternativen in der Geschichte zu machen.

„… aber auf die Perspektive kommt es an!“

Die Prinzipien Adressatenorientierung und Ergebnisoffenheit sind zwei fachdidaktisch diskutierte Prinzipien, die die vielfältigen Potenziale von Spielen in der historisch-politischen Bildung an dieser Stelle nur andeuten können. Der Blick in die Fachdidaktiken Politik und Geschichte zeigt aber, dass durchaus umstritten ist, ob sich jedes Thema gleichermaßen für spielerische Vermittlung eignet.
Eine weitere Leitplanke zur Entscheidungshilfe bietet der Beutelsbacher Konsens von 1976. Auf das hier ausformulierte Überwältigungsverbot beziehen sich auch heute viele historisch-politische Bildner*innen. Spiele werden dabei aufgrund ihrer Sogwirkung und ihres immersiven Charakters durchaus kritisch diskutiert. Die Perspektive, aus der Spieler*innen eine Spielhandlung erleben, beeinflusst, inwiefern sie während des Spiels emotional involviert sind. Playing History hat sich – auch aus diesem Grund – dafür entschieden, beim Spiel „Spuren auf Papier“ nicht aus einer Täter*innenperspektive zu erzählen. Grundsätzlich sei Playing History zwar immer für einen Perspektivwechsel im Spiel offen, so Martin Thiele-Schwez. Beim Thema NS-Krankenmorde sei dies aber völlig ausgeschlossen gewesen (zur Perspektive im Spiel „Spuren auf Papier“ siehe Blogbeitrag “NS-Verbrechen im Spiel – Eine Frage der Perspektive“). Im Fall von „Spuren auf Papier“ ist es also nicht das Thema selbst, das die Grenzen des Spielbaren definiert, sondern die Perspektive, aus der das Spiel erzählt.

 

Spielerische Vermittlung – Weiterführende Literatur

Bernhardt, Markus (2018): Das Spiel im Geschichtsunterricht. Frankfurt/a.M.

Meßner, Maria Theresa (in Ankündigung): Der Einsatz von Planspielen im sozialwissenschaftlichen Unterricht. Eine Erhebung an hessischen Sekundarschulen.

Petrik, Andreas (2018): Fachdidaktische Analyse von Planspielen. Zur fallorientierten Erschließung politikdidaktischer Konzeptionen und politischer Kompetenzen in der Lehrerbildung. In: Meßner, Maria Theresa u.a. (Hg.): Handbuch Planspiele in der sozialwissenschaftlichen Hochschullehre. Frankfurt am Main, S. 115–130.

Sander, Wolfgang (2013): Politik entdecken – Freiheit leben. Didaktische Grundlagen politischer Bildung. 4. durchges. Aufl. Schwalbach/Ts.

Scholz, Lothar (2022): Spiele im Politikunterricht. Frankfurt/a.M.

 


Ein Gastbeitrag von Christian Buschmann, Doktorand am Seminar für Didaktik der Geschichte an der Goethe Universität Frankfurt am Main. Er forscht zum Einsatz von Planspielen im Geschichtsunterricht.

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