hellgrüner Hintergrund mit verschiedenen geometrischen Figuren

Impulse & Tools für die digitale Kulturvermittlung

Impulse & Tools für die digitale Kulturvermittlung

Impulse & Tools für die digitale Kulturvermittlung

Im Zuge der technischen Entwicklung haben sich die gesellschaftlichen Erwartungen an Museen grundlegend gewandelt. Museen werden zunehmend zu Orten des Erlebens und informellen Lernens, an denen analoge und digitale Elemente miteinander verschmelzen. Statt einseitiger Belehrung wünschen sich viele Besucher*innen die Möglichkeit, selbstbestimmt zu entdecken und aktiv teilzuhaben. Eine gelungene digitale Vermittlung im Museum kann diesen Bedürfnissen gerecht werden, sofern sie sorgfältig eingesetzt wird. Der Verbund museum4punkt0 hat hierfür unterstützend ein Workbook mit dem Titel “Impulse und Tools für die digitale Kulturvermittlung” veröffentlicht, das kostenfrei online zur Verfügung steht. Es enthält Erfahrungen, Methoden und Werkzeuge aus sechs Jahren Arbeit in der digitalen Vermittlung.

 

Ein Workbook rund um digitale Vermittlung

Museum4punkt0 vernetzt deutschlandweit Kultureinrichtungen mit dem Ziel, digitale Vermittlung zu verbreiten und zu verbessern. Das Workbook entstand in einer Kooperation von 56 Autor*innen aus unterschiedlichsten Disziplinen in der Museumswelt. Diese gemeinsame Herangehensweise entspricht ganz einer wichtigen Botschaft, die das Workbook überbringt:

“[…]dass der Weg zu richtig guter digitaler Vermittlung am besten zusammen beschritten werden sollte.” (Impulse und Tools für die digitale Kulturvermittlung, S. 4)

Das 187-Seitige Workbook “Impulse und Tools für die digitale Kulturvermittlung” von museum4punkt0 ist eine Ansammlung an Erfahrungen, Methoden und Werkzeugen aus sechs Jahren Arbeit in der digitalen Vermittlung. In 12 Kapiteln behandelt das Workbook alle Aspekte der digitalen Vermittlung, darunter Projektmanagement, Dialog mit Nutzer*innen, Technologien wie AR und VR, digitale Rekonstruktion, Testing, Kommunikation, Marketing, Teamwork und Nachhaltigkeit. Dem Thema Storytelling widmet das Workbook ein eigenes Kapitel. Dabei wird auch auf Erfahrungen und Learnings bei der Entwicklung der Visual Novel “Herbst ’89 – Auf den Straßen von Leipzig” eingegangen.

 

Storytelling und Narrative Design

Durch die Integration von Geschichten und Narrativen ist es Museen möglich, den Besucher*innen eine emotionalere und persönlichere Erfahrung zu bieten. Dank der Geschichten lassen sich komplexe Themen und Zusammenhänge nachvollziehbarer und zugänglicher aufbereiten, was dazu führt, dass Besucher*innen ein umfassenderes Verständnis für die Geschichte und Bedeutung der Exponate entwickeln können.
(Impulse und Tools für die digitale Kulturvermittlung, S. 57f)

Das vierte Kapitel im Workbook befasst sich mit Storytelling. Es geht von der vielfachen wissenschaftlichen Erkenntnis aus, dass Spieler*innen sachliche und historische Informationen besser aufnehmen, nachvollziehen und behalten können, wenn sie mit Emotionen in Verbindung gebracht werden, um an die eigenen Erfahrungen der Besucher*innen anzuknüpfen. Das Einnehmen neuer Perspektiven ist ein interaktives Mittel, was die Spieler*innen in Kombination mit einem dramaturgischen Spannungsbogen auf eine mitreißende Reise schicken kann. Narrative Design nennt man die Verbindung aus Storytelling und Game Design.

Als grundlegendes Modell der Narration verweist Amalka Hermann, die Autorin dieses Abschnitts im Workbook, auf die Methode des Story Circles. Dieser wurde ursprünglich von Drehbuchautor Dan Harmon verfasst und teilt einen Spannungsbogen in acht Schritte auf.

Der Story Circle

 

Story Circle am Beispiel Herbst ’89

Zur Erläuterung des Story Circles eignet sich “Herbst ’89 – Auf den Straßen von Leipzig“, eine von uns und dem Deutschen Historischen Museum (DHM) entwickelte interaktive Graphic Novel. In dieser können Spieler*innen in die Rollen von sieben verschiedenen Charakteren mit unterschiedlichsten Perspektiven schlüpfen, um deren individuelle Erfahrungen mit den Ereignissen rund um die Demonstrationen am 9. Oktober 1989 in Leipzig zu erleben und nachzuvollziehen. Die Handlung variiert je nach Entscheidung der Spieler*innen. Ziel ist es, die Demonstration gewaltfrei verlaufen zu lassen.

Dem folgenden Beispiel liegt der “ideale” Verlauf der Geschichte der Krankenschwester Almut zu Grunde. Die aufgelisteten Themen werden im jeweiligen Abschnitt in die Story integriert. Die Spieler*innen lernen, wie die einzelnen Aspekte einen Effekt auf das tagliche Leben von Almut haben:

 

1. YOU – Persona in Komfortzone
  • Im ersten Schritt wird die Protagonistin vorgestellt. Almut S. ist eine alleinerziehende Krankenschwester und wohnt zusammen mit ihren beiden Kindern Jan und Julia nahe der Leipziger Innenstadt. Wir lernen auch, dass Almut sich um ihren Sohn sorgt und nicht möchte, dass er auf die Demo geht. Wie alle in Leipzig ist sie an jenem Tag beunruhigt und besorgt.
  • Themen: Warenknappheit, Systemrelevante Jobs in Krisenzeiten, Flucht aus der DDR
2. NEED – Persona hat ein Bedürfnis
  • Als nächstes wird ein Anliegen etabliert. Almut möchte sicherstellen, dass ihr Sohn nicht zur Demo geht.
  • Themen: Demonstrationen und Massaker in China 1989, “chinesische Lösung”
3. GO – Persona begibt sich in eine ungewohnte Situation
  • Almut will ihre Schicht früher beenden, um zu Hause nach Jan zu sehen. Dazu muss sie eine ihrer Kolleginnen überzeugen, ihre Schicht zu übernehmen.
  • Themen: Pflegekräfte-Knappheit, West-Produkte in der DDR
4. SEARCH – Persona passt sich der Situation an
  • Almut macht sich auf die Suche nach ihrem Sohn. Dazu muss sie einige Hürden überwinden und sich schließlich der Demo anschließen.
  • Themen: Polizei, Stasi, Bürgerrechtsbewegung in der DDR
5. FIND – Persona erreicht, was sie möchte
  • Almut finden ihren Sohn in der Menge an Demonstrierenden.
  • Themen: Aufruf der “Sechs von Leipzig”, Stadtfunk Leipzig
6. TAKE – Persona muss für ihr Ziel einen hohen Preis zahlen
  • Almut sieht, dass ihr Sohn kurz davor ist, einen Stein auf die Polizist*innen an der Front zu werfen. Um ihn zu überzeugen dies nicht zu tun, muss sie sich in ihn hinein versetzen und ihn überzeugen, dass eine Eskalation nicht in seinem Interesse liegt, da er damit auch seine Freundin in Gefahr bringen würde. Ihre Ideale geraten ins Wanken mit der Realisation, dass die Sicherheit seiner Freundin ihm eher am Herzen liegt, als die der Menschen in der Menge oder seiner Mutter. Um hier erfolgreich zu sein müssen die Spieler*innen dies erkennen und richtig handeln.
  • Themen: Polizeigewalt, soziale Verantwortung, friedliche Demonstration
7. RETURN – Persona kommt in Komfortzone zurück
  • Die Demonstration verläuft friedlich und Jan ist sicher.
  • Themen: Bürgerrechtsbewegung in der DDR
8. CHANGE – Persona hat sich verändert
  • Almut kennt ihren Sohn nun besser und hat gelernt, dass sie ihm zuhören und auf seine Interessen eingehen muss, um seine Sicherheit zu gewährleisten.
  • Themen: friedliche Revolution, Mauerfall, Reisefreiheit

 

Geschichtsvermittlung durch Serious Games

An die theoretischen Ausführungen zu Storytelling anknüpfend berichtet das Deutsche Historische Museum (DHM) in einem kleinen Nachbericht über Erfahrungen und Learnings, die sie im Rahmen von Herbst ’89 gesammelt haben.

“Grundlage für [Spiele im Museum] sollten stets eine sehr gründliche Recherche und wissenschaftliche Arbeit sein […].Dabei ist es gar nicht so einfach, wissenschaftliche Ergebnisse und Erkenntnisse in spielerische Handlungen und eine packende Story zu übertragen. Dafür braucht man kompetente Partner*innen. Historiker*innen denken oft in Texten und Fußnoten, Gamedesigner*innen hingegen denken in Bildern und Narrativen.” (Impulse und Tools für die digitale Kulturvermittlung, S. 66)

Das Fazit des DHM: “Einfach mal machen!”. Und genau dabei helfen die Impulse und Tools, die Interessierte in dem Workbook von museum4punkt0 finden.

Weiterführende Links

 

 

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