hellgrüner Hintergrund mit verschiedenen geometrischen Figuren

“Spiel-Raum”: Spieleentwicklung an der Toulouse-Lautrec-Schule

Spieleentwicklung an der Toulouse-Lautrec-Schule - Collage der Bilder aus dem Blog-Beitrag

“Spiel-Raum”: Spieleentwicklung an der Toulouse-Lautrec-Schule

Zwei Jahre lang haben wir zusammen mit der Toulouse-Lautrec-Schule den Spiel-Raum durchgeführt. Die Schule ist ein sonderpädagogisches Förderzentrum mit dem Schwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung (kmE). Und hinter dem Spiel-Raum verbirgt sich ein ganz besonderes GestaltBar-Projekt, welches durch die Deutsche Telekomstiftung gefördert wurde. Was alles Spannendes und Innovatives in dem Zeitraum passiert ist, berichtet Daniel Stephan, Lehrer an der Toulouse-Lautrec-Schule und Projektleiter des Spiel-Raums. Ein Gastbeitrag.

 


 

Spielend lernen … im schulischen Rahmen.

Spielen heißt Ausprobieren. Spielen heißt Beobachten und „So-tun-als-ob“. Spielen heißt schlichtweg auch Lernen. In allen denkbaren Arten des Spiels lernen Kinder, Jugendliche und auch noch Erwachsene, indem sie für die Dauer des Spiels in eine andere Rolle, ja auch in andere Welten mit ihren eigenen Regeln schlüpfen. Was aber geschieht, wenn Spiele von Jugendlichen nicht nur gespielt sondern von Grund auf entwickelt werden? Was bedeutet dies für das Lernen?

Einmal darüber nachgedacht, eröffneten sich immer mehr Vorstellungen, Ansätze und Vorhaben, die ausprobiert werden wollten. Nur in welchem Rahmen? Rahmenlehrpläne und das schulinterne Curriculum geben die Roadmap für den Unterricht der jeweiligen Fächer vor. Kreative Ansätze, Spiele in den Unterricht zu integrieren, sind dabei durchaus möglich, wenn auch immer nur unter den Vorgaben und Lernzielen der jeweiligen Fächer. Doch es sollte mehr werden als das. Freier und weitestgehend losgelöst von den spezifischen unterrichtlichen Vorgaben mit einem deutlichen Fokus auf eine breite Kompetenzentwicklung.

Die Ausschreibung der Telekomstiftung für die Schaffung von GestaltBars – digitale Werkstätten für Jugendliche, die eine Berufsausbildung anstreben – ließ schließlich den gedanklichen Knoten platzen.

Eine digitale Werkstatt mit analogen Spielen – Wie passt das zusammen?

Das Medium der Wahl sollten Brettspiele werden. Ganz klassische Brettspiele, analog und “zum Anfassen”. Im Projekt aber sollte der Schwerpunkt auf der Schnittstelle zwischen analog und digital liegen.

Auch wenn viele Schritte in der kreativen Arbeitswelt mittlerweile komplett digital stattfinden (und auch wenn mit der Verfügbarkeit von KI-Anwendungen für die Öffentlichkeit ein ganz neuer Aspekt hinzugekommen ist), so bietet ein Projekt an besagter Schnittstelle das Potenzial, die digitalen Prozesse besser zu begreifen, indem die analogen Schritte, die ihnen in ihrer Entwicklung zugrunde liegen, nicht ausgeklammert, sondern explizit mitgenommen werden. Der Hauptschwerpunkt dabei lag auf dem analogen Modellieren von Spielfiguren mit Ton und anderen Materialien, die anschließend digital gescannt, als 3D Modelle verkleinert und schließlich in Serie mit einem 3D-Drucker vervielfältigt werden. Besonders lässt sich dabei hervorheben, dass die Schüler:innen mit ihren verschiedensten körperlichen Einschränkungen Figuren in einer Größe herstellen konnten, die ihren individuellen feinmotorischen Fähigkeiten entsprachen.

Ferner durfte auch mit Pinsel und Farbe gemalt werden, mit Bleistift skizziert und mit Post-Its gebrainstormt werden. Die Bedeutung von Nutzungsrechten bei Internetrecherchen wurden erlernt, Bilder wurden gar auch komplett im KI-Bildgenerator erstellt und anschließend im digitalen Bildbearbeitungsprogramm zusammengefügt. Ideen wurden schließlich auch auf Online-Pinnwänden zusammengetragen. Prozesse wurden dort übersichtlich festgehalten. Dabei war die Prämisse, dass die Schüler:innen so weit wie möglich kreative Freiheit genießen sollen und ihnen auch in der Wahl der Techniken kein enges Vorgabenkorsett auferlegt wird. Aber ganz ohne Begleitung, Anleitung und Expertisen ging es natürlich nicht.

Expertenwissen aus der Games- und Filmwelt

Bereits in der Antragsphase für das Projekt war klar, dass wir das Know-How von echten Spieleentwickler:innen benötigen würden. Playing History war hier ein fantastischer Projektpartner – vor Ort vertreten durch Game Designerin Anne Sauer. Anne begleitete das Projekt über die zwei Jahre und stellte den Jugendlichen ihr ganzes Wissen über Spielmechaniken zur Verfügung. Gemeinsam mit ihr entwickelten sie Regelwerke, Spielfiguren und Hintergrundgeschichten.

Den praktischen Teil zum 3D-Modeling und -druck übernahm Concept Artist und Filmmodellbauer Josef Schmidt, der auch für Hollywoodproduktionen tätig ist. Mit ihm war das Experimentieren für die Teilnehmer:innen eine wahre Freude. So fanden sie mit ihm immer die besten (und auch überraschende) Wege, ihre Figuren und Spielsteine als 3D-Druck Wirklichkeit werden zu lassen.

Daniel Stephan (also ich selbst; Anmerkung des Autors) war Ansprechpartner und Anleiter für alles, was sich um das Thema Grafik-Design drehte.

Neben der Spieleentwicklung und -gestaltung gab es auch gut besuchte Themennachmittage, in denen es um die Vorstellung der Berufsbilder „Game Design“, „Modellbau“ und „Grafikdesign“ ging.

Das Finden einer Projektform

Wer in Schule arbeitet, wird wissen, dass es sich nicht ganz einfach gestaltet, solch ein zusätzliches Angebot, das weit über Unterricht und AGs hinausgeht, terminlich in die ohnehin vollen Stundenpläne einzubauen. Dass die Toulouse-Lautrec-Schule ein Ganztagsangebot hat, machte die Sache leichter, wenn auch nicht leicht. Es war Grundlage des Projektes, dass der Spiel-Raum keine Pflichtveranstaltung sein sollte, sondern ein Ort, den die Jugendlichen in freien Stunden aufsuchen könnten, um an ihren Spielen zu arbeiten. Dieses hehre Ziel konnte jedoch nicht in allen Aspekten Wirklichkeit werden.

Wie so oft landet man bei einem Kompromiss. Ein guter Kompromiss in diesem Fall. Da das Projekt auf externe Experten angewiesen war, und auch die am Projekt beteiligten Lehrkräfte, Erzieher:innen und Betreuer:innen alle ihre stundenplangebundenen Verpflichtungen hatten, wurde der Spiel-Raum auf einen festen Zeitraum jeweils am Montag Nachmittag festgelegt. Und auch die Zeiten, an denen Anne oder Josef vor Ort sein würden, waren fixiert. So konnte es also im Herbst 2022 mit dem ersten Spiel-Raum-Durchgang beginnen. Geplant waren vier Halbjahre mit vier verschiedenen Spieleproduktionen. Verwirklicht wurden in der Zeit drei Spiele. Mehr dazu später.

Technik, Skills, und Lerninhalte

Aus didaktischer Sicht wird es hier richtig interessant. Denn was kann durch Spielen (ja, in der Spieleentwicklung selbst wird außerordentlich viel selbst gespielt) vermittelt und gelernt werden?

Zwei der drei Spiele sind aus Unterrichtsinhalten entstanden, die im Prozess der Spieleentwicklung weitergedacht, weiter untersucht, vertieft und verfestigt wurden. Beim dritten Spiel wurde ein ganz neuer Ansatz verfolgt, der auch eine Verlängerung ins vierte Halbjahr zur Folge hatte (aber dadurch mit einem ganz wunderbaren und überraschenden Ergebnis das Projekt beenden sollte).

Die Anwendung zahlreicher Programme wurde vermittelt: Das Online-Bildbearbeitungsprogramm (und Photoshop-Klon) “Photopea”, die Online-Pinnwand “Task Cards”, der KI-Bildgenerator “Firefly” von Adobe, Open-Office-Anwendungen und Programme zum Scannen und Drucken von 3D-Objekten.

Kommunikationskompetenzen wurden in dem Projekt wie nebenbei trainiert. Immer dann, wenn die Jugendlichen miteinander in den Austausch gingen. Wenn sie an Prozesspunkten feststellten, dass nicht alle Ideen aller Teammitglieder umgesetzt werden können, aber dass verworfene Ideen manchmal auch neue Denkanstöße geben. Zuhören, sich inspirieren lassen, Gedanken formulieren und zusammenarbeiten – von all dem war jeder einzelne Spiel-Raum Termin erfüllt.

Demokratiebildung

Schonmal beobachtet, wie die verschiedensten jungen Menschen aus dem Nichts komplette Regelwerke für Spiele aufstellen? Der Autor jedenfalls hat einem solchen Prozess noch nicht beigewohnt. Es war mehr als faszinierend mitzuerleben, wie Regeln entstanden, über Für und Wider diskutiert wurde und immer die Fairness im Vordergrund der Entscheidungsfindung stand. Regeln wurden ausgetestet (gespielt), verworfen, weiterentwickelt und schließlich in ein Regelwerk gegossen, dass dann für alle Spieler:innen (und damit sind dann nicht nur die Macher gemeint) gelten wird. Es braucht nicht viel Erkenntnis, um zu sehen, dass hier Demokratieerziehung in reiner Form am Werke war. Der Prozess der Einigung auf gemeinsam entwickelte Regeln, an die sich dann alle halten und die fair für alle Teilnehmenden sind, fußt auf grundlegenden Aspekten des Demokratieverständnisses.

Drei Spiele und die unterschiedlichen Zusammensetzungen der Gruppen

Das erste Spiel im Spiel-Raum basierte auf “Homers Odyssee”. Das Epos war Thema an Projekttagen im Rahmen des Geschichtsunterrichts in zweier 7. Klassen. Die Schüler:innen dieser zwei Klassen waren im Spiel-Raum folglich auch die Expert:innen für alle Fragen, was die Figuren und die Welt des Spiels betraf. Welche Protagonisten und Antagonisten sollten auf dem Spielbrett agieren? Welche Orte der Odyssee sollten als Spielelemente Einzug erhalten? Wer spielt eigentlich gegen (oder mit) wem? Welche Ereignisse lenken das Spiel in welche Richtung? Immer wieder musste tiefer recherchiert werden, um aus der alten Sage ein spannendes Spiel, das schließlich den Namen “Die Verwirrfahrten” tragen sollte, zu entwickeln.

In diesem ersten Durchgang war der Spiel-Raum ganz wie ursprünglich geplant offen für alle Schüler:innen der Sekundarstufe I. Die verschiedenen Bereiche “Grafikdesign”, “Spielmechanik” und “3D-Druck” waren immer für alle zugänglich, damit sich die Schüler:innen je nach Interesse ausprobieren konnten und die Dinge erlernten, für die sie sich entschieden. Das hieß, dass jemand, der in einer Woche an der Spielmechanik arbeitete, in der nächsten Woche lernen konnte, wie man mit einem Bildbearbeitungsprogramm umgeht. Diese sehr freie Form führte zu einer relativ schnellen Selbstorganisation der Jugendlichen, die sich dann in festen Gruppen zusammenfanden, die auch für den Rest des Projektes nach den jeweiligen Interessensgebieten so blieben. Das Projekt erhielt dadurch mehr und mehr einen linearen Charakter als zu Beginn geplant, wobei es sogar auch Projektphasen gab, in denen schließlich alle zusammen in einer großen Gruppe an einem Aspekt des Spiel arbeiteten.

Dies war eine schöne Entwicklung, stellte die Organisation des zweiten Durchgangs jedoch auf wackelige Beine, denn schließlich hatten nun bereits alle (am Projekt teilnehmenden) Schüler:innen der Sek I alle Bereiche nach ihren Interessen bereits ausprobiert und erlernt. So entstand der Gedanke, den Spiel-Raum in dem folgenden Halbjahr ausschließlich für die Klassen mit dem Förderschwerpunkt “geistige Entwicklung” zugänglich zu machen, was die Anpassung der Inhalte auf die Erfordernisse der betreffenden Schüler:innen vereinfachte.

Einige der Schüler:innen mit dem Förderschwerpunkt GE waren bereits bei den “Verwirrfahrten” mit dabei. Die Schulleitung ermöglichte durch die Organisation des Stundenplans nun die Mitwirkung aller Klassen des GE-Bereichs. Als klassenübergreifender Lernschwerpunkt bot sich das Thema „Orientierung“ an. Verbunden mit Rechercheausflügen zu bestimmten Orten mit entsprechender Dokumentation wurden so zum Start der nächsten Runde von jedem Klassenverbund Wegstrecken, Wegmarkierungen, Beförderungsmittel, Straßennamen etc. auf einer für alle zugänglichen digitalen Pinnwand in Bild und Text festgehalten.

Zusammen mit Anne entwickelten die Schüler:innen ein Quartettprinzip mit Orientierungspunkten, die Wege komplettierten. Es ging dieses Mal also in Richtung Kartenspiel. Doch ein Kartenspiel, das in der realen Welt spielen sollte, mit Strecken des ÖPNV und realen Orten, gefiel den Schüler:innen nicht. Es sollte fantastischer werden, abenteuerlicher und … gefährlicher!

Die Reise führte uns schließlich zu einer mystischen Meereswelt mit einem gestrandeten Forschungsteam, das nach verlorengegangenen Teilen seines Schiffes sucht. Und die Expeditionen unter der Wasseroberfläche sollte ins Verderben führen, wenn man nicht den Weg mit allen vier Ortsmarkierungen zusammen bekäme.

Folglich brauchte das Spiel auch individuelle Spielfiguren und eine Insel, von der das Kartenabenteuer ausgeht. Mit Josef wurden die Taucherfiguren in einzelnen Sessions modelliert, gescannt, verkleinert und gedruckt. Und an dieser Stelle kam zum ersten Mal KI ins Spiel. Statt die Bildwelten zu malen oder aus vorhandenem Material zu collagieren, wurden sie beschrieben. Gar nicht so einfach, die richtigen Worte zu finden für das, was man als Vorstellung im Kopf hat. Am Ende hielten die Schüler:innen ihr eigenes Spiel in den Händen: “Das gefährliche Meer”.

Schließlich rückten mit dem neuen Schuljahr zwei neue 7. Klassen aus der Grundschule in die Sekundarstufe hinauf. Da diese zwei Klassen nunmehr die einzigen waren, die noch gar keine Chance hatten, am Spielraum teilzunehmen, wurde ihnen das Projekt angeboten. Es bestand großes Interesse, doch ein angedachtes Unterrichtsthema als Grundlage eines möglichen Spiels wurde schnell wieder verworfen, da sich der Unterricht in Deutsch und die Spieleentwicklung im Spiel-Raum in völlig unterschiedlichen Etappen/Geschwindigkeiten entwickelten.

Keine Story? Kein Problem für Anne. Sie startete einfach mit den Regeln. Ohne Hintergrundgeschichte, ohne Figuren und ohne Welt. Ein faszinierender Prozess entfaltete sich. Die Jugendlichen waren tief versunken in der Entwicklung „ihres“ ganz eigenen Regelwerks. Und als schließlich ein spielbarer Prototyp auf dem Tisch lag, konnte auch an eine Story gedacht werden.

In dieser Runde entfaltete sich die Kreativität und die Dynamik ganz anders als in den vorangegangenen Projektabschnitten. So wurde schnell entschlossen, dass diese beiden Klassen mehr Zeit erhalten sollten als angedacht, damit der äußerst kreative Prozess nicht unterbrochen und aufgrund des Zeitmangels mehr von außen (heißt von den Erwachsenen) gesteuert werden müsste. Die Klassen erhielten genau so viel Unterstützung von Anne und Josef wie nötig war, um schließlich eigenständig das Spiel „Erde Rückwärts“ zu kreieren. Einem Brettspiel im Wettlauf mit der Zeit, einem Asteroiden, der eine Welt zu zerstören droht, gefährlichen Bananenfallen und ein paar wackeren Menschen und einer Weltraumpflanze, die ihnen ihr Raumschiff als Fluchtvehikel zur Verfügung stellt.

Wie geht es weiter?

Die GestaltBar hat nun zwar ein Ende gefunden, doch mit den gesammelten Erfahrungen wird weitergemacht. Die Schule plant ein Gaming Event zum Thema „serious & educational Games“, bei dem die Spiel-Raum Teams ihre Spiele der gesamten Schülerschaft präsentieren werden, aber auch verschiedene Aussteller kommen sollen, die im Bereich „Spiele & Schule“ tätig sind. Playing History wird auf jeden Fall mit dabei sein. Mit der erprobten 3D-Technik wird in der Schule weiter gestaltet, gescannt und gedruckt werden.

Fazit

Zwei Jahre GestaltBar an der TLS. Das war ein kleines Mammutprojekt. Zwei Jahre lang gab es Angebote für insgesamt 15 Klassen, deren Schüler:innen am Spiel-Raum beteiligt waren.

Das Projekt wäre nicht möglich gewesen ohne die Expertisen von Anne Sauer von Playing History, Filmmodellbauer Josef Schmidt, vielen Kolleginnen und Kollegen, die uns und das Vorhaben unterstützten und unserer Schulleitung, die das Ganze erst in einem schulischen Rahmen möglich machte. Vor allem hätte das alles niemals in dieser Größe und mit diesen Möglichkeiten stattgefunden, wenn die Deutsche Telekomstiftung das Vorhaben nicht gefördert hätte. Wir sind glücklich und stolz auf die Schüler:innen, die mit viel Freude und Energie solch tolle Spiele quasi aus dem Nichts komplett entwickelt, gestaltet und produziert haben.

Das Projektlogbuch ist auf der Homepage der Toulouse-Lautrec-Schule einsehbar.

Weitere Bilder vom Projekt


 

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