hellgrüner Hintergrund mit verschiedenen geometrischen Figuren

Gamification – Mehr als Points, Badges und Leaderboards?

Gamification - Mehr als Points, Badges und Leaderboards?

Gamification – Mehr als Points, Badges und Leaderboards?

Ein Gastbeitrag von Claudia Friedrich, Doktorandin an der MLU Halle (Bereich Erwachsenenbildung).


Der Einsatz von Spielmechanismen in Kontexten, die eigentlich nichts mit Spielen zu tun haben, wird in den letzten zwanzig Jahren häufig mit dem Begriff Gamification gelabelt. Zwar wurde das, was Spiele so reizvoll macht, seit jeher genutzt, um Menschen zu motivieren, aber die Digitalisierung und alle damit verbundenen Veränderungen (insbesondere im Bereich Gaming) haben dazu beigetragen, dass aus dem Phänomen ein Trend werden konnte. Gamifizierte Apps werden in ganz unterschiedlichen Bereichen eingesetzt: nicht nur als Alltagsunterstützung beim Sport, im Haushalt, bei der Ernährung, sondern auch im Bildungs-, Finanz- oder Gesundheitswesen sollen sie helfen, die Nutzer:innen spielerisch und nachhaltig zu einem bestimmten Verhalten zu motivieren.

Was bedeutet eigentlich Gamification (nicht)?

Etwas zeitversetzt zum Hype hat auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Gamification Fahrt aufgenommen, und verschiedene Disziplinen versuchen zu ergründen und einzuordnen, was darunter eigentlich genau zu verstehen ist. Das ist nämlich gar nicht so eindeutig wie es zunächst scheint. Auch diejenigen, die die gamifizierten Anwendungen entwerfen, sind sich uneins darüber. So können sich die meisten Expert:innen für dieses Thema zwar darauf einigen, dass es um „die Nutzung von Spielmechanismen in nicht-spielerischen Kontexten“ (Deterding 2011: 13) geht, aber bereits aus dieser knappen Definition ergeben sich Fragen: Welche Mechanismen sind eigentlich charakteristisch für Spiele? Welche Kontexte sind (nicht-)spielerisch und wo verläuft da die Grenze? Was ist der Unterschied zu verwandten Formen wie Game-based Learning, Serious Games, Simulationen? Und, besonders kontrovers, was macht gute Gamification aus, wann ist sie wirksam und wann vielleicht sogar kontraproduktiv?

Kindliches Lernen als Vorbild

Bei meiner Forschung zu Gamification in der betrieblichen Weiterbildung habe ich viele verschiedene Gamification-Designer:innen dazu befragt, wie man über Spielmechanismen besser lernen kann. Dass sich Spiele bzw. in diesem Fall die Mechanismen, die Spiele so attraktiv machen, sehr gut dazu eignen, Wissensinhalte zu vermitteln, darüber sind sich alle Befragten einig. So sprechen mehrere Gamifizierer:innen vom „natürlichen Spieltrieb des Menschen“, vom Homo Ludens. Dementsprechend verweisen sie auf die hohe Bedeutung des kindlichen Spiels bei der Aneignung der Welt um sie herum, und von Fähigkeiten und Fertigkeiten, die Mensch braucht, um sich in ihr zurecht zu finden. Wenn Kinder über das Spiel(en) so intuitiv, schnell und nachhaltig lernen, sich regelrecht darin verlieren können, warum sollten das dann nicht auch Erwachsene tun? So die Argumentation dahinter.

Abkehr vom Carrot-on-a-Stick-Prinzip

Die Befragten sind sich also einig darüber, dass Spiele beim Lernen sehr nützlich sein können, auch wenn sie unterschiedliche Ansichten darüber haben, wie genau ein gamifiziertes Lernsetting aussehen sollte.

In ihren Ausführungen ist mir dabei eine Sache besonders aufgefallen: die Auseinandersetzung mit ‚Points, Badges und Leaderboards‘. Was ist damit gemeint? Zunächst einmal sind das drei sehr bekannte und beliebte Spielmechanismen, die allen Gamer:innen geläufig sind. Beim Spielen werden Belohnungspunkte vergeben, Auszeichnungen für das Meistern von besonderen Herausforderungen verliehen, oder die Spieler:innen nach Leistung in einem Ranking eingeordnet. Auffällig war, dass sich der Großteil der vierzehn Befragten kritisch mit diesen drei Spielmechanismen auseinandergesetzt hat, und die Formulierung ‚Points, Badges, Leaderboards‘ (PBL) sowohl in ihren Interviews als auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung und in Diskursen der Community (bspw. Blogeinträge, Artikel, Handbücher) genutzt wird, um eine bestimmte Haltung zu verdeutlichen.

Die laute Kritik an diesem Dreiklang steht stellvertretend für eine bestimmte Vorstellung von nachhaltigem Lernen. PBL stehen für Behaviorismus, für ineffektives Lernen über Belohnung und Bestrafung, für extrinsische Lernanreize, kurz: für Carrot-on-a-Stick.

Karikatur des bekannten Gamification-Designers Roman Rackwitz, an dem man beim Thema Gamification nicht vorbeikommt

Karikatur des bekannten Gamification-Designers Roman Rackwitz, an dem man beim Thema Gamification nicht vorbeikommt

Zur Beschreibung dieser als ineffektiv bezeichneten Nutzung von Spielelementen finden sich in den Interviews Metaphern wie „Spielwiese“, „Feuerwerk“ oder „Pixelschlacht“, also Gamifizierungen, die zwar schön anzusehen seien, aber keinen tieferen Lerneffekt auf die Nutzer:innen hätten. Ein gamifiziertes Lernsetting mit ausschließlich diesen Spielmechanismen wird negativ gesehen, i.d.R. auch, um anschließend zu erklären, wie es besser gehen kann. Es spricht sich allerdings niemand unter den Befragten dafür aus, diese Elemente gänzlich aus den Gamifizierungen herauszunehmen, da sie, sinnvoll in ein größeres Ganzes eingebettet, durchaus motivierend seien.

 

Ein hart umkämpftes Feld

An der Haltung zum Dreiklang ‚Points, Badges und Leaderboards‘ lässt sich also eine Menge darüber ablesen, welches Verständnis von (gutem) Lernen die Gamifizierer:innen haben. Ihre Ansichten darüber, wie Wissen am besten vermittelt werden sollte, fließen in das Lernsetting ein, das sie letztendlich kreieren.

Gamification ist für einige sehr viel mehr als nur das Vergeben von Punkten oder Abzeichen. Es geht ihnen beispielsweise um das Entwickeln einer ‚Learning Journey‘, auf der sich die Lernenden freiwillig in ein Thema vertiefen, sich darin verlieren, und im besten Fall gar nicht merken, dass sie eigentlich gerade in einem Weiterbildungskontext sind. Wieder andere definieren den Begriff offener, sie nutzen einzelne Spielelemente für das Lernsetting und finden das völlig ausreichend, um die Motivation der Nutzer:innen zu erhöhen.

Das Ringen um ‚gute‘ Gamification ist somit auch ein Ringen um ‚gute‘ Wissensvermittlung. Um zu untersuchen, wie Erwachsene (besser) lernen, ist Gamification ein spannendes und wichtiges Forschungsfeld, vor allem aber ein hart umkämpftes.

Weiterführend zu Gamification

Chou, Y.-k. (2015): Actionable Gamification. Beyond Points, Badges, and Leaderboards. Octalysis Media.

Deterding, S.; Dixon, D.; Khaled, R.; Nacke, L. (2011): From Game Design Elements to Gamefulness: Defining Gamification. URL: https://www.researchgate.net/publication/230854710 [Stand: 23.10.2022].

Fuchs, M.; Fizek, S.; Ruffino, P.; Schrape, N. (2014): Rethinking Gamification. Lüneburg: Meson Press.

Raczkowski, F.; Schrape, N. (2016): Gamification. In: Rauscher, A.; Hensel, T.; Beil, B. (Hrsg.): Einführung in die Game Studies. Wiesbaden, Springer VS, S. 313-329.

 


Ein Gastbeitrag von Claudia Friedrich, Doktorandin an der MLU Halle (Bereich Erwachsenenbildung).

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